ULL MÖCK - Leading Sideman
von Volker Doberstein



Es gibt ein Buch, um das alle Musiker, vor allem aber alle Pianisten besser einen großen Bogen machen sollten. Weil man bestimmte Fähigkeiten und mehr noch Fertigkeiten nicht hinterfragt. Und sei es nur, um mühsam antrainierte Automatismen nicht zum Gegenstand nachdenklichen Zauderns werden zu lassen. Das Buch heißt "Die Hand", herausgegeben von Marco Wehr und Martin Weinmann. Darin stellt Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover, eine auf den ersten Blick gewagte These auf. "Das schwierigste, was der Mensch vollbringen kann, ist professionelles Musizieren auf höchstem Niveau". Natürlich gibt es - physisch gesehen - weitaus größere Kraftanstrengungen. Nichts aber erfordert einen höheren Koordinationsaufwand und fordert somit den "ganzen" Menschen mehr als professionelles Musizieren. Und hierbei die Königsdisziplin ist das Klavierspiel.
Unlängst haben Wissenschaftler am Computer simuliert, wie der Mensch aussähe, wäre er gemäß der Bedeutung seiner Körperteile gebaut. Sein Anblick erinnerte entfernt an einen Embryo: riesiger Kopf, kleiner Rumpf, kurze Arme, kurze Beine, große Füße und sehr große Hände. Es sind beim Menschen also genau jene Körperteile besonders hoch entwickelt, die zum Klavierspiel benötigt werden - Kopf, Hände, Füße.Und zwar in dieser Reihenfolge.
Pianisten hätten also allen Grund, prahlerisch mit ihrer Leistung hausieren zu gehen. Um so erstaunlicher, wenn man gerade hier auf große Bescheidenheit trifft, hinter der sich dann aber Erstaunliches verbirgt - wie im Falle des Stuttgarters Ull Möck.
"Der 'Ullrich' ist mir schon während der Kindheit abhanden gekommen, worüber ich aber alles andere als traurig bin," löst Möck das Rätsel seines Vornamens auf. Der 39-jährige Pianist, der an der Musikhochschule Heidelberg/ Mannheim klassisches Klavier studiert hat, ist einer der vielbeschäftigten der Branche. Als Sideman ist er derzeit unter anderem zu Hören im Quartett von Peter Lehel, in der Meinhard "Obi" Jenne Group sowie mit der wunderbaren Sängerin Lilly Thornton. Mit Obi Jenne, der zum Besten und Originellsten zählt, was das Jazz-Schlagzeug in Deutschland zu bieten hat, spielte er jüngst ein exzellentes Live-Album ein, auf dessen Track List sich etliche New Standards befinden. Ungewöhnliches Songmaterial, auf das auch Lilly Thornton auf ihrem zur Veröffentlichung anstehenden und bereits mit großem Erfolg live präsentierten neuen Album "Thorntones" setzt.
Ull Möck steht zu dieser Öffnung des Repertoires: "Wir wollten einfach ein bisschen weg von den klassischen Standards, obwohl wir die auch noch im Programm haben. Wir versuchen , den Jazz für das Publikum attraktiver zu machen, indem wir auch Popstücke aus unserer Jugend, wie 10cc's 'I'm not in love', jazzmäßig arrangieren - Stücke eben, die uns gefallen und von denen wir denken, die kommen rüber. Wichtig ist uns,dass man gut darüber improvisieren kann. Diese Vorgehensweise hat sich sehr bewährt."
Natürlich ist der vielgefragte Pianist in all diesen Bands nie 'nur' Sideman. "In der Band von Lilly teilen wir uns die Arbeit des Arrangierens. Lilly selbst steuert etwa die Hälfte der Arrangements bei, ich den Rest.Diese Vorlagen arbeiten wir in der Regel gemeinsam aus." Zudem ist auffällig, dass Ull Möck überall immer auch als Komponist in Erscheinung tritt. "Darauf bin ich auch sehr stolz. Wo immer ich mitspiele, habe ich das Gefühl, großen Freiraum zu besitzen. Ich fühle mich insofern nie als Sideman. Auch, weil all diese Projekte auf Kompositionen der jeweiligen Gruppenmitglieder, insbesondere natürlich der Bandleader basieren. Die Möglichkeiten sich einzubringen, sind unter diesen Rahmenbedingungen besonders groß und sehr interessant. Ich lerne nach wie vor eine ganze Menge dabei."
Im übrigen ist es im Falle Ull Möcks fast schon eine Methode, die Trennung zwischen Bandleader und Sideman aufzuheben. Wer wie Möck gerne viel ausprobiert, kann unmöglich immer und überall die alleinige konzeptionelle Verantwortung tragen. Sich zum Bestandteil bestehender spannender Konzepte zu machen und sie nach Kräften mit voranzutreiben, gehört zum Arbeitsethos des Stuttgarter Pianisten. Darüber hat er sein Dasein als Bandleader lange vernachlässigt. Zwar gibt es seit geraumer Zeit eine eigene, sehr gut besetzte Working Band mit Karoline Höfler am Bass und zunächst Michael Kersting, später Hans Fickelscher am Schlagzeug, doch erst 1994 trat das Trio mit dem Debutalbum "How high the moon" an die Öffentlichkeit. Da war Möcks Triokonzept bereits sehr hoch entwickelt und in einiger Hinsicht fast ein wenig überfeinert. Heute ist es ausgewogen, hoch reflektiert und doch nie verkopft. Ull Möck sagt treffend über seine Musik: "Die Komposition ist gegenüber der Improvisation mit den Jahren eindeutig in den Vordergrund gerückt. Es gibt in meiner Musik heute mehr durchkomponierte Teile. Auch ist es mir wichtig, dass wir als Trio während der improvisierten Parts gemeinsam agieren und reagieren. Man sollte gar nicht so sehr das Gefühl haben, dass gerade der eine soliert oder der andere, sondern dass in jedem Fall zusammen etwas über eine bestehende Struktur hinaus aufgebaut wird, in unterschiedlichen Rollen. Mir geht es darum, dass man innerhalb des Stücks gar nicht mehr richtig unterscheiden kann: was ist improvisiert, was auskomponiert. Insgesamt ist dadurch das Lyrische in meiner Musik etwas mehr in den Vordergrund getreten."
So gesehen, ist der Erstling "How high the moon" noch sehr verspielt, eine Platte von enormer stilistischer Vielfalt. "Ja", bestätigt Ull Möck, "aber darin liegt eben auch eine gewisse Gefahr. Es war die erste Platte mit dem eigenen Trio. Und vielleicht habe ich da zuviel hineingepackt. Im Nachhinein würde ich das anders machen. Im Grunde ist die Platte vor allem zu lang. Es sind zu viele Stücke drauf, weil es mir damals schwer gefallen ist, auszuwählen." Was Ull Möck damit meint, wird deutlich, wenn man sich den Nachfolger "Drilling" anhört. Die Platte ist auf derart meisterhafte Weise in sich geschlossen, dass man meint, ein Konzeptalbum vor sich zu haben. Die Stücke fließen wie von Geisterhand bewegt vermeintlich übergangslos ineinander, wirken nie überfrachtet und sind Ausdruck einer konsequent entwickelten Klangsprache. Einige der schönsten Kompositionen des Pianisten wie die Ballade "Waiting" sind hier zudem versammelt.
Ull Möcks stille Liebe für die Trompete führte im vergangenen Jahr zur Aufnahme einer Live-CD seines Trios mit Claus Stötter als Gastsolist."Ich schätze den Claus seit langem als einer der besten Trompeter hierzulande.Ich freue mich sehr,dass er hin und wieder die Zeit findet, bei uns mitzuspielen." Möck hat selbst eine Zeitlang Trompete gespielt, sich dann aber doch für das Klavier entschieden: "Ich habe immer brav meine eineinhalb Stunden täglich Ansatz geübt, wollte aber am liebsten sofort Musik machen, was mein Lehrer für keine gute Idee hielt. Also habe ich mich wieder ganz auf das Klavier konzentriert. Trotzdem: manchmal würde ich gerne singen oder ein Blasinstrument spielen. Allein schon wegen des Ausdrucks, des Tons. Ich finde, als Pianist hat man es schwerer, einen eigenen, unverwechselbaren Ton zu finden."
Für Ull Möcks Vielseitigkeit spricht ein weiteres Projekt unter eigenem Namen, die Fusion-CD "Labyrinth". Sie ist das Resultat der intensiven Beschäftigung mit dem Computer, mit neuen Sounds, obwohl am Klavier komponiert. Durchaus denkbar, dass wir das eine oder andere Stück auf der für Herbst geplanten akustischen Duo-Platte mit Saxofonist Peter Lehel in ganz anderem Kontext wiederhören werden.
Zum Schluss frage ich Ull Möck, ob es eigentlich schwer sei, Klavier zu spielen. Er sieht mich ein wenig verwundert an. Und bevor er mich für völlig verblödet hält, konfrontiere ich ihn mit der eingangs erwähnten Erkenntnis, dass professionelles Klavierspiel die größte Leistung ist, zu der ein Mensch fähig ist. Er sieht mich ungläubig an: "Im Ernst?" Ich nicke. "Und das stimmt wirklich?" fragt er ungläubig ein zweites Mal nach. "Ja, das stimmt wirklich." - "Ja dann," lacht er, "dann werde ich mir jetzt wirklich ein wenig unheimlich." Und dazu hat er wirklich allen Grund.

Jazzpodium November 2000